„Insourcing is the new black?“ – Warum die Digitalisierung einen neuen Trend zum Insourcing von Lagerlogistik auslösen kann.
Sie werden unter dem Mantel „Digitalisierung“ flächendeckend diskutiert: Begriffe wie Automatisierung, Logistik 4.0, Roboterisierung etc. In der Regel stehen in diesem Diskurs die technischen Neuerungen und Machbarkeiten im Vordergrund: Was geht, wie viel schneller, besser, einfacher oder gar autonom?
Mit Sicherheit ist in dieser Hinsicht „Digitalisierung“ auch einer der zurzeit am häufigsten, aber auch auf unterschiedlichste Art & Weise interpretierten Begriffe in der Logistik. Letztlich steht überall und für jeden die Frage im Raum: Welche Konsequenzen hat die Digitalisierung für die Logistik und wann treten signifikante Effekte ein? Ich möchte hier nicht die Vielzahl der einzelnen Effekte beleuchten, stelle aber die kühne These auf, dass die Digitalisierung Treiber eines neuen Trends zum Insourcing von Lagerlogistik sein kann.
Drei wesentliche Entwicklungen führen mich zu dieser These:
- Neue technische Möglichkeiten: Die neuen Möglichkeiten in Bereichen wie Automatisierung, Roboterisierung, Internet of things (IOT), Artificial Intelligence und autonomen Systemen erreichen jetzt eine greifbare betriebliche Praxistauglichkeit. Die Vorteile aus dem Einsatz der neuen Technologien im Hinblick auf mehr Leistung, Geschwindigkeit, Flexibilität, Autonomie oder auch nur Kostenreduktion sind so immens, dass eine Umsetzung in den Logistikbetrieben zwingend ist. Es geht nur noch um das „wie und wann“, aber nicht mehr um das „ob“!
- Der Bedarf an immer schneller verfügbarer Ware, führt zwangsläufig zu einer anderen Steuerung der Bestände bzw. zu anderen Bestandsstrategien der Unternehmen. Schneller beim Kunden ist „key“! Insbesondere zeigt sich eine spürbare Entwicklung zu mehr regionalen oder lokalen Lagerlösungen und einem Abbau der vormals großen Zentrallager-Lösungen. Damit werden in der Regel die zu „managenden“ Einheiten kleiner und entsprechend auch besser beherrschbar. Gleichzeitig steigt aber die Anzahl der Lagerstätten, die als „Gesamtsystem“ gesteuert werden müssen.
- Der Mangel an Arbeitskräften – sowohl gewerblichen als auch kaufmännischen – in großen Lagerstandorten wird anhalten und sich weiter verschärfen. In allen Saisonphasen ausreichend gewerbliche Mitarbeiter zu finden, wird ein immer größerer Engpass für die Logistikbetriebe. Eine Besserung der Situation ist hier m.E. in den nächsten Jahren nicht absehbar. Auch Off-Shoring von kompletten Lagerstandorten in das benachbarte Ausland oder die massive Rekrutierung von ausländischen Mitarbeitern für deutsche Lagerstandorte, ist m.E. keine dauerhafte und vor allem keine tragbare Lösung. Die Folge dieser Konstellation wird wiederum ein Zwang zu Automatisierung oder mindestens Teilautomatisierung von Lager- und/oder Kommissionierprozessen sein!
Warum sollen diese Entwicklungen zum Insourcing führen?
Eines muss man vorweg betonen: Das Insourcing „an sich“ wird die Herausforderungen alleine nicht lösen. Vielmehr wird das Insourcing eher die „logische Konsequenz“ der veränderten Rahmenbedingungen für die Auftraggeber-Seite einerseits sowie der engen Handlungsspielräume der Dienstleister andererseits sein.
- So oder so: Alle Unternehmen, online wie stationär, deren Logistik „geschäftskritisch“ ist, müssen sich zukünftig stärker und vor allem selber mit den aktuellen und kommenden Möglichkeiten im Bereich Technik/ Technologie sowie IT auseinandersetzen. Es wird entscheidend sein hier kontinuierlich „am Ball“ zu bleiben. Die Fülle der Möglichkeiten und das Entwicklungstempo sind zu groß, als dass man sich auf das Know How eines guten Dienstleistungspartners alleine verlassen kann. Das bedeutet in der Konsequenz hierfür Ressourcen, aber auch Budget im eigenen Unternehmen vorzuhalten – so oder so.
- Hohe Investitionen für ein Lagerlogistikgeschäft werden auch heute von Dienstleistern in der Regel in Form von langfristigen Verträgen (8-15 Jahre) inkl. Volumengarantien abgesichert. Zukünftig aber noch längere Bindungsdauern in Kauf zu nehmen, um die steigenden Investitionen zu kompensieren, erscheint wenig sinnvoll. Umso mehr, da gleichzeitig der „Weitblick“ der Auftraggeber über ihre langfristigen Mengen und Strukturen im Lager in der heutigen Geschäftsdynamik nahezu unmöglich ist. Warum sich also langfristig in einer „geschäftlichen Ehe“ festlegen, wenn die Auftraggeber doch die Freiheit brauchen, ihr Geschäft über die Jahre „frei“ und nach Marktanforderungen gestalten zu können?
- Wenn nicht mehr die Größe der Lagerstandorte die zukünftige Herausforderung darstellt, sondern die Steuerung des „Gesamtsystems“ aller Lagereinheiten des Unternehmens, dann spielt die dafür erforderliche IT die entscheidende Rolle. Sie wird damit noch stärker zum „Herzstück“ einer effizienten Lagerlogistik als bisher. Der „direkte“ Zugriff und „Durchgriff“ auf die operativen Systeme wird wichtiger als je zuvor, denn so schnell und flexibel wie sich die Prozesse ändern, müssen auch Anpassungen der IT-Strukturen möglich sein. Ich meine, gerade in diesem Bereich müssen Auftraggeber selber „Herr der Systeme“ und damit autark und jederzeit handlungsfähig sein.
- Trotz der zunehmenden Automatisierung im Lager wird der Kampf um Arbeitskräfte weitergehen. Allerdings müssen aktiv geänderte Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmer geschaffen werden, um zukünftig ausreichend Personal rekrutieren zu können. Hierbei gelten m.E. drei Grundregeln:
(1) Wer gute Arbeitsbedingungen bietet, bekommt i.d.R. besseres Personal oder hat zumindest mehr Zulauf an Bewerbern.
(2) So oder so muss Personal in der Logistik zukünftig besser vergütet werden. Auch den Dienstleistern muss ermöglicht werden höhere Löhne zahlen zu können.
(3) Wenn Arbeitnehmer es sich aussuchen können, arbeiten sie in der Regel lieber „direkt“ beim Auftraggeber und nicht bei dessen DienstleisterErgo, die Auftraggeber müssen in jedem Fall höhere Lohnanteile in den Logistikkosten verkraften und können durch ein direktes Arbeitsverhältnis aktiv dazu beitragen, mehr und ggf. bessere Arbeitskräfte für die Lagerlogistik zu rekrutieren.
Fazit
Wenn man sich die beschriebenen Effekte vor Augen führt, wird klar: So oder so werden die Auftraggeber (wieder) stärker in die Eigenverantwortung für die Lagerlogistik „gezogen“. Meines Erachtens liegt der Schritt zum Insourcing dann ebenfalls nahe – auch wenn der Prozess des Insourcings professionell begleitet werden sollte. Sofern strategische Entscheidungen beim Auftraggeber einen Eigenbetrieb definitiv ausschließen, kann ein Outsourcing als „Betreiber-Modell“ verfolgt werden – je nach Branche und Art der Logistiklösung gibt es sehr erfolgreich funktionierende Modelle im Markt. Allerdings muss in dem Fall in Kauf genommen werden, dass vor allem gut etablierte Logistik-Dienstleister solche Konzepte nicht immer mittragen werden.
Andere Erfahrungen? Ich freue mich auf Ihr Feedback.
Stephan Meyer