Kann der dynamische Versandhandel wirklich mit einem externen Dienstleister für die Lagerlogistik funktionieren?

Die gute Nachricht vorab: Ja, natürlich werden die Logistikdienstleister ihre berechtigte Stellung in diesem Geschäft behalten. Allerdings muss sich der Auswahl-Prozess des richtigen Dienstleistungs-Partners von Grund auf ändern, um langfristig erfolgreich zusammen zu arbeiten.

Nicht nur im Versandhandels-Umfeld, sondern auch in anderen Branchen, in denen die Logistikleistung einen maßgeblichen Einfluss auf die positive Wahrnehmung eines Geschäftes beim Kunden hinterlässt, sind die Zeiten schwierig. Auf der einen Seite haben die Geschäftsmodelle vieler junger Unternehmen das Potential, schnell zu skalieren und die Weiterentwicklung der geschäftlichen Inhalte folgt eher dem Prinzip „test & learn“. Auf der anderen Seite agieren etablierte Unternehmen mit großen Logistikumfängen, allerdings auch gleich großer Ungewissheit, wie sich diese Mengen und die Logistikstrukturen über verschiedene Absatz-Kanäle entwickeln werden. Natürlich haben alle Unternehmen in irgendeiner Weise und nach bestem Wissen und Gewissen einen „Plan“ in Business Cases oder Mittelfristplanungen hinterlegt, aber letztlich ist das Maß an Transparenz über die tatsächlichen Logistik-Strukturen der nächsten Jahre so gering wie niemals zuvor.

Für den Betrieb eines Logistikzentrums durch einen externen Dienstleister bedeutet das vermeintlich eine große Herausforderung. Letztlich geht es darum, flexibel auf die Anforderungen und die Volatilitäten des Geschäftes zu reagieren, gleichzeitig wollen aber Flächen im Lager verbindlich geplant, Mitarbeiter eingestellt und in Lagertechnik investiert werden. Und dies erfordert zwangsläufig langfristige – zumindest finanzielle – Bindungen und damit Risiken.

Damit ist der Dienstleister in der Zwickmühle: Agiert er bei der Planung der Lagerlogistik-Abwicklung zu vorsichtig, reicht häufig die Kapazität nicht für die Erfüllung aller Orders mit den geplanten und ungeplanten Spitzen aus. Plant er zu optimistisch, kann er die „Überkapazitäten“ in der Regel nicht an den Auftraggeber abrechnen, so dass das Geschäft schnell unprofitabel wird. Auch die bereits gelebten Flexibilitätsbemühungen der Logistik-Dienstleister über Arbeitszeitmodelle, Multi-User-Center, flexibel angemietete Flächen, Einsatz von Personaldienstleistern, gemietetes Lager-Equipment etc. reichen meines Erachtens oft nicht mehr aus, um langfristig eine für beide Seiten befriedigende Geschäftsbeziehung mit dem Auftraggeber zu realisieren.

Aber was bedeutet das konkret? Doch lieber die Lagerlogistik selber betreiben? Für einige Unternehmen mit Sicherheit die beste Lösung, wenngleich die logistischen Herausforderungen auch für eine interne Logistik-Abteilung oder eine Logistik-Tochtergesellschaft die gleichen bleiben. Aber zumindest hat man keine zusätzliche Schnittstelle zu einem externen Unternehmen mehr und daher den vermeintlich schnelleren „Durchgriff“ auf das Lager, wenn’s mal eng wird bei der Auftragsabarbeitung.

Für alle, die strategisch auf externe Partner für die Lagerlogistik setzen, heißt das: Der Auswahl-Prozess des Logistik-Dienstleisters sowie die Vertragskonstruktion muss sich von Grund auf ändern. Die Ausschreibung eines „Logistik-Geschäftes“ in klassischer Form hat ausgedient, setzt sie doch gerade die (relativ) genaue Beschreibbarkeit der zukünftigen Mengen und Strukturen der Logistik sowie der Anforderungen des Auftraggebers voraus, um auf dieser Basis eine verbindliche Logistikplanung und Preisstruktur aufzusetzen.

Realistisch betrachtet, werden das „technische Konzept“ sowie das „wirtschaftliche Angebot“ eher zur Bewertungsgrundlage auf Basis eines in einer Ausschreibung vorgegebenen Szenarios – in dem Wissen, dass dies gegebenenfalls bei Realisierung der Logistik-Lösung noch passt, sich aber über die Folgejahre immer weiter hiervon entfernt.

Das bedeutet aber vor allem, im Rahmen der Identifikation des Dienstleistungspartners deutlich mehr Fokus als in der Vergangenheit auf die „Passform“ der beiden Unternehmen an sich zu legen. Und das bedeutet nicht, die Eckdaten des Unternehmens sowie seine Referenzen zu prüfen. Vielmehr geht es darum, die übereinstimmende Erwartungshaltung zur „Art und Weise“ der Etablierung und Weiterentwicklung einer Geschäftsbeziehung beider Unternehmen einzuschätzen. Sind beide bereit, sich auf das Abenteuer eines „Logistik-Geschäftes“ mit ungewisser Entwicklung über die kommenden Jahre einzulassen und bringen beide Unternehmen die „Leidenschaft“ dafür mit? Die vermeintliche Begeisterung zu finden, ist mit Sicherheit der einfache Teil. Aber objektiv zu prüfen ist auch: Sind beide Unternehmen überhaupt in der Lage, die sich daraus ergebenden sachlichen, organisatorischen und finanziellen Herausforderungen partnerschaftlich zu lösen und dann in der betrieblichen Praxis umzusetzen? Naturgemäß beteuern beide Seiten diese partnerschaftliche Einstellung im Rahmen der Geschäftsanbahnung und mit Sicherheit sind die handelnden Personen häufig auch tatsächlich davon überzeugt. Wie bringt man nun aber die notwendige Verbindlichkeit in dieses Vorhaben?

Zunächst hilft hier erfahrungsgemäß höfliche, aber ungehemmte Offenheit beider Unternehmen in der Sache. Es geht schließlich um die umfangreiche Bindung beider Partner für einen langen, mehrjährigen Zeitraum. Das bedeutet auch, keine Scheu zu haben, schwierige oder zu dem Zeitpunkt nahezu „undenkbare“ Szenarien für die Entwicklung der Logistikkonstellation zu diskutieren. Aber Vorsicht! Es geht nicht darum, zu jedem „verrückten“ Szenario eine Antwort zu haben bzw. zu erwarten. Die Kunst liegt gerade darin, dass beide Seiten zu den nicht beantwortbaren Fragestellungen Einigkeit über ein faires „Prozedere“ erreichen und diejenigen Rahmenbedingungen greifbar machen, die im Bedarfsfall für beide Partner gelten sollen. „Butter bei die Fische“ heißt das in der Diskussion: Was setzen wir für Maßstäbe für eine neue Vergütung, wie leiten wir geänderte Haftungsumfänge ab, was ist die gemeinsame Philosophie für ungenutzten Assets etc.? Wie gesagt: Es handelt sich nicht um zu etablierende Automatismen. Fast alle Details sind im Eintrittsfall noch zu verhandeln, aber dann auf Basis eines gemeinsamen „Wertesystems“ und eben nicht vollkommen frei.

Ein schöner Nebeneffekt ist: Durch den Diskurs zu gemeinsamen Sichtweisen erleben beide Parteien auch, wie der jeweils andere „tickt“ und sollten nun wissen, worauf sie sich mit dem potentiellen Vertragsschluss einlassen. Ist diese Einigkeit und damit ein Komfortgefühl erreicht, den richtigen Geschäftspartner identifiziert zu haben, ist die nächste Herausforderung, diesen „Geist“ der Zusammenarbeit in einen Dienstleistungsvertrag und ein belastbares Vergütungsmodell zu überführen. Damit sollte dann ein solider Grundstein für eine langjährige Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Dienstleister gelegt sein.

Meine Erfahrung zu diesem Ansatz: Nicht einfach, aber machbar, wenn beide Seiten bereit sind, sich auf diese neue Sichtweise einzulassen. Und, die gedankliche (Vor-)Arbeit ist gut investiert, um auch in schwierigen Zeiten einer „geschäftlichen Ehe“ über konkrete Lösungen zu diskutieren und nicht (mehr) über die grundsätzlichen unternehmerischen Erwartungen aneinander zu streiten.

Andere Erfahrungen? Ich freue mich auf Ihr Feedback.
Stephan Meyer