Beim bekannten Baron von Münchhausen nehmen wir die Lüge von der Befreiung aus der Notsituation belustigt zur Kenntnis. Eine schöne Vorstellung: Probleme kreativ und aus eigener Kraft lösen zu können!

Die Lösung umfassender Konfliktsituationen in der Kontraktlogistik, konkret also Konfliktfällen zwischen Auftraggeber und dem Kontraktlogistik-Dienstleister, weisen Parallelen zu der Münchhausen-Geschichte auf: Die „Lösung aus eigener Kraft“ ist und bleibt in den meisten Fällen einfach ein Märchen. Warum dieses harte Urteil? Die Konfliktparteien haben doch in der Regel ein veritables Interesse, gar eine gegenseitige Abhängigkeit, über viele Jahre zusammenzuarbeiten?

Das stimmt, aber die großen Konfliktfälle haben einige Gemeinsamkeiten:

  1. Der Schaden ist häufig (für beide Seiten) sehr schnell immens groß. Dem Dienstleister „weht“ das Geld aus dem Fenster, der Auftraggeber spürt das erste Mal, wie groß seine Abhängigkeit von einer funktionierenden Logistik ist – manchmal überlebenswichtig für das Kerngeschäft. Der Druck auf alle handelnden Personen ist in diese Situationen also enorm.
  2. Die Ursachen für die Konflikte sind in der Regel (a) multikausal und (b) selten nur sachlicher Natur. Häufig handelt es sich um enttäuschte Erwartungen an die Logistikabwicklung, die aber nie hinreichend in Tendern, Verträgen, Leistungsbeschreibungen etc. formuliert worden sind. Und, gerade bei Neubauprojekten sollte man nicht unterschätzen, dass sich die (unausgesprochenen) Erwartungen an die Logistiklösung, innerhalb einer Projektdauer von ca. 2 Jahren bis zum operativen Start, verändern.
  3. Der enorme Druck und die diffuse Ursache-Wirkungs-Situation führen u.a. dazu, dass sich jede Partei „die eigene Wahrheit“ zurechtlegt – manchmal bewusst (und sei es nur, um den eigenen Job zu retten), manchmal unbewusst, weil man sich tatsächlich „im Recht“ sieht. Die eingeschalteten Juristen verstärken dieses Gefühl häufig, da sie zunächst einmal professionell ihrer eigenen Partei verpflichtet und gerade nicht in der Rolle des „Konfliktlösers“ aktiv sind.

Den handelnden Personen fehlt es meiner Erfahrung nach in dieser Situation an der entscheidenden Voraussetzung, um überhaupt einen Weg aus der Krise sehen zu können: Emotionale Distanz als Grundlage für eine rationale Analyse der Zusammenhänge, aber auch rationale Lösungsvorschläge. Dass in dieser Phase zumeist auch das Vertrauensverhältnis beider Parteien zueinander zerstört ist, macht es natürlich umso schwerer.

„Am eigenen Schopf“, wie bei Münchhausen, ist die notwendige emotionale Distanz leider nicht herstellbar. Ergo: In den großen Konfliktfällen der Kontraktlogistik ist dringend zu empfehlen, sich auf einen neutralen Dritten in der Rolle des Mediators oder Moderators zu verständigen. Dieser sollte m.E. immer beidseitig beauftragt werden und unbedingt sachkundig im gesamten Kontraktlogistik-Kontext sein, d.h. nicht (nur) Logistikberater, nicht Jurist und nicht methodengestählter Mediator sein. Es geht vielmehr um Personen, die authentisch beide Seiten verstehen und die Gesamtzusammenhänge funktionierender, langfristiger Kontraktlogistik-Beziehungen durchdringen. Und, diese Personen sind nicht „Schiedsrichter“ zwischen den Konfliktparteien, sondern – um im Bild des Sumpfes zu bleiben – „Brückenbauer“. Dazu gehört auch, für alle Beteiligten Klarheit über sonstige Handlungsalternativen, wie eine gerichtliche Auseinandersetzung, zu schaffen. Über die Brücken am Ende zu gehen, obliegt jedoch immer den Parteien selbst!

Und noch eine Analogie: Die Lösung umfassender Konflikte in der Kontraktlogistik benötigt manchmal – genau wie beim realer Brückenbau – ausreichend Zeit!

Andere Erfahrungen oder Meinungen?

Ich freue mich über Ihr Feedback!

Stephan Meyer