Kontraktlogistikverträge und Augenhöhe – jetzt zeigt sich’s!
Im Rahmen meiner Beratungsmandate zu Vertragsverhandlungen von Kontraktlogistik-Outsourcings ist es das eine Wort, das früher oder später immer wieder auftaucht: „Augenhöhe“. Und natürlich ist diese Phase der Anbahnung einer langen Geschäftspartnerschaft immer geprägt von allgemeiner Höflichkeit, Positivismus, Lösungsorientierung und vielen Versicherungen der verhandelnden Parteien zu kritischen Szenarien, dass man sich in so einem (undenkbaren) Fall „dann schon einig werden wird“. Paradoxerweise finden sich in vielen Verträgen am Markt dann aber selten konkrete Inhalte dazu, was „Augenhöhe“ – eher als Synonym für „Fairness“ gemeint – konkret für beide Unternehmen bedeutet.
Verstehen Sie mich nicht falsch – ich bin kein Verfechter davon, alle erdenklichen Szenarien in Logistikverträgen zu regeln, was ohnehin unmöglich ist. Vielmehr bin ich ein großer Fan davon, langfristige Verträge so zu gestalten, dass sie auch auf den „Geist“ der gemeinsamen Geschäftsbeziehung abstellen und somit, neben harten Zahlen und Fakten, auch umfassend das grundsätzliche Verständnis von der Art & Weise der Zusammenarbeit regeln.
Im Falle signifikanter Verwerfungen zwischen Planungsdaten für die Logistikabwicklung bei Vertragsschluss und der späteren Ist-Situation sind natürlich individuelle Lösungen gemäß den tatsächlichen Adaptionsmöglichkeiten für beide Parteien zu finden und es kommt auch auf das berühmte „Augenmaß“ der handelnden Manager in dieser Situation an. Aber, je mehr generelle Rahmenbedingungen – quasi als gemeinsames Wertesystem – bereits bei Vertragsschluss vereinbart werden, desto weniger Diskussionen haben die Geschäftspartner in späteren kritischen Situationen. Ich meine sogar, dass dies letztlich nicht an den einzelnen Inhalten dieses Wertesystems liegt, sondern vielmehr an dem beidseitig und vor Vertragsschluss durchlaufenen Prozess der Meinungsbildung, wie man miteinander umgehen will. Ich bemühe hier häufiger das Bild der „Geschäftsehe“, die man mit dem Vertragsschluss begründet. Je klarer sich beide Parteien vergegenwärtigt haben, was diese Ehe bedeutet, desto einfacher werden sie alle Hindernisse in der Zukunft aus dem Weg räumen können.
Konkret bedeutet dies beispielsweise nicht (nur) zu regeln, wie Mengen-Preis-Matrizen aussehen und „Sprechklauseln“ für Preisanpassungsverlangen abseits tolerierbarer Mengen-/ Strukturveränderungen einzubringen. Vielmehr sollte auch für Fälle signifikanter (Mengen-)Veränderungen zum Beispiel geregelt sein, welche Kosten der Dienstleister immer skalieren können muss, aber gleichzeitig auch, welche Kosten der Auftraggeber unter allen Bedingungen weiter zu vergüten hat oder was eine auskömmliche Mindestmarge ist, die dem Dienstleister immer zugestanden werden muss (sofern er die Servicegrade einhält).
Ja, Sie haben Recht: Das ist in der Praxis tatsächlich eine herausfordernde Übung, die davon lebt, dass (a) sich beide Parteien jeweils mit den sachlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Zwängen der anderen Partei auseinandersetzen sowie (b) beide Parteien nahezu die gleiche Transparenz über alle wirtschaftlichen Dreh- und Angelpunkte der Geschäftsbeziehung erreichen müssen. Gerade zu letzterem Punkt sind beide Unternehmen gefragt, diese Transparenz für den anderen aktiv zu erzeugen und – auch in einer Verhandlungssituation – letztlich mit offenen Karten zu spielen, was der Partner von dieser Geschäftsehe erwarten kann.
Die aktuelle Situation durch das Corona-Virus produziert nun die typischerweise in Logistikverträgen undenkbaren Szenarien: Einige Logistikzentren können die Auftragsflut kaum noch bewältigen während anderen die Abwicklungsmengen komplett wegbrechen. Nun offenbart sich, ob Auftraggeber und Dienstleister einerseits sinnvolle Vorkehrungen in ihren Verträgen getroffen haben, andererseits ob unabhängig davon beide Parteien tatsächlich einen „gemeinsamen Geist“ haben und die großen Herausforderungen auf Augenhöhe und in aller Fairness bewältigen können.
Ich mag etwas pessimistisch erscheinen, aber ich befürchte, es zeigt sich gerade, wie viel Anpassungsbedarf wir bei Verträgen in der Kontraktlogistik noch haben …. Daher beherzigen Sie schon jetzt für die Nach-Krisen-Zeit: Nachverhandeln geht immer (!) und eine Adaption der heutigen Verträge wird meines Erachtens häufig für beide Parteien sinnvoll sein.
Andere Erfahrungen? Ich freue mich auf Ihr Feedback.
Stephan Meyer